Für #Unterkunft Ukraine schreibe ich Porträts von Menschen auf der Flucht, die in Deutschland ein Zuhause finden wollen sowie von hier lebenden Menschen, die Raum für People on the move geben. Im Moment hat die Organisation nur die Befugnis, Menschen zu helfen, die aus der Ukraine fliehen. aber wir sind uns alle bewusst, dass sie nicht die einzigen Menschen in Gefahr sind. Das Ziel ist also, die strukturen für alle people on the move zu nutzen.
Es ist Tag 2 des Krieges. Anja Nugmanova ist seit 24 Stunden in Starre. Was geschehen ist, hat sie erfahren als ihr achtjähriger Sohn fragte: “Wird denn jetzt wirklich Krieg in der Ukraine sein?”. Unvermittelt nahm sie Kontakt mit ihrer Familie vor Ort auf. Ihre Tanten sind bis heute eingekesselt. Ob sie zu Anja nach Berlin flüchten werden können, ist nicht klar. “Ein in Frieden lebender Mensch wird Krieg nie verstehen”, sagt sie.
Die Ohnmacht verlässt Anja nach den ersten zwei Tagen. “Ich merkte, dass es auf die Kinder abfärbt”. Und so folgt sie einem Aufruf von #Unterkunft Ukraine und geht abends mit einem Schild los zum Hauptbahnhof. Sie möchte eine geflüchtete Familie in ihre eigene aufnehmen.
Wie viele Berliner*innen steht sie dann da, noch sind die Gleise leer. Als ein Zug einfährt, steigen ein paar Familien aus. Sie, ihnen gegenüber, mit dem Schild und wankenden Beinen. “Sie waren gefasster als ich. Irgendwie gut drauf - froh, angekommen zu sein. Das änderte sich über die Tage schnell. Bald sahen alle sehr müde aus.” An diesem Tag sind es noch zu viele Hilfsbereite auf wenige Ankommende. Anja geht an diesem Abend alleine nach Hause.
24 Stunden später, Anja macht sich wieder auf den Weg. Unsicher, was sie erwarten wird. Unsicher, was sie erwartet. Noch bevor sie sich einer Familie zuwenden kann, steht eine zierliche Frau aufgelöst und zitternd vor ihr. Obwohl Anja russisch spricht, wird ihre Situation zunächst nicht ganz klar. “Ich fühle mich wie ein vertriebener Hund”, kommt schließlich aus ihr heraus. Natalja wurde von ihren Eltern gedrängt, dass Land zum eigenen Schutz zu verlassen. Doch sie will nicht hier sein, weiß nicht, wohin. Anja zieht ihre Warnweste aus und bringt sie zu sich nach Hause.
Nach fünf Tagen geht Natalja zu einer Freundin und Anja bietet wieder Platz für eine Familie an. Gleichzeitig versucht sie das Leben für die Kinder möglichst zu normalisieren. Chris, der achtjährige Sohn, bekommt jetzt sein eigenes Taschengeld und läuft alleine von der Schule nach Hause. Letztens kam er nach Hause und das Geld war weg. Er hatte auf dem Weg Zimtschnecken gekauft. Doch seine Familie darf sie nicht anrühren. Sie sind für geflüchtete Menschen.
Christian steht mit Oksana beim Einwohnermeldeamt. Sie muss die Adressen ihrer Angehörigen angeben. Eine Träne rollte über ihre Wange, als sie bei ihrem 21-jährigen Sohn “Kaserne” einträgt. Das ist eines der wenigen Male, dass Oksana eine Träne verlieren wird, nachdem sie, ohne ihren Sohn und nur mit ihrer 10-jährigen Tochter, die Ukraine verlassen musste. “Ansonsten sind ihre Schilderungen sehr neutral, ihre Anliegen pragmatisch. Wir haben immer den Kloß im Hals, wenn sie was von ihrem Leben erzählt”, sagt Christian dazu.
Er und seine Familie hat die Mutter und ihre Tochter über #Unterkunft Ukraine aufgenommen. Vom Pragmatismus, den Oksana mitbrachte, war Christian besonders beeindruckt. “Wir saßen fünf Minuten im Auto da fragte sie schon: Ich bin gelernte Krankenschwester - könnt ihr mir helfen, einen Job zu finden?”, und zu seiner Überraschung war dies keine große Herausforderung. “Ich bin begeistert, wie schnell man viel bewirken kann”.
In kürzester Zeit waren alle Formalitäten erledigt, die Tochter an der Schule angemeldet und nun hat Oksana ein erstes Jobinterview. Der Zugang zu dieser Hilfestellung ist niederschwellig und Christian kennt viele Menschen, die diese jetzt leisten könnten. Doch viele ließen sich von Ängsten und Bequemlichkeit hindern. “Dabei haben sich all die Sorgen, die wir vorher hatten, in der Sekunde aufgelöst, in der die beiden da waren. Da war sofort die Zufriedenheit darüber, das Richtige zu tun”, sagt Christian.
Und auch jetzt, nach eineinhalb Wochen ist das Gefühl noch da. “Wichtig im Vermittlungsprozess ist wirklich einfach das Machen”, erläutert Christian und fügt hinzu: “Aber eben auch, Grenzen zu formulieren”. Denn Christian musste seine erste Vermittlung ablehnen. “Ich hab mich richtig mies gefühlt, aber zwei Erwachsene passen einfach nicht in die Wohnung. Der Vermittelnde hat mir klar gemacht, dass es okay und wichtig ist, ehrlich zu sein mit dem, was man geben kann.” Sobald man seine Möglichkeiten geklärt hat, sei es jedoch wichtig, hilfsbereit zu sein. “Wir leben 2000 km entfernt und haben alles. Da kommen Menschen, denen nur noch zwei Plastiktüten geblieben sind. Da leitet sich schon eine Verantwortung ab.”
Am liebsten hätte Jenny sofort für die Familie Normalität wiederhergestellt. Als die Hamburgerin die Geflüchteten Kseniya, Nikos, ihren Sohn Eldar und die Großmutter Larissa aufnimmt, streckt ihr Umfeld die Hände aus. Innerhalb von 48 Stunden kamen viele Angebote für die Aufgenommenen, auch von bisher unbekannten Personen. Das war für die Familie, aber auch für Jenny selber wichtig: “Die Solidaritätswelle überspült all die deprimierenden Nachrichten, die man täglich in den Medien liest.”
Es wäre deutlich schwieriger gewesen, all diese Angebote an die Familie zu bringen, hätten sie nicht von Beginn an einen Vermittler zum Übersetzen gehabt. Denn Jenny und die aufgenommene Familie sprechen kein Wort gleicher Sprache.
Und die Vermittlung an sich verlief viel schneller und unkomplizierter, als Jenny im Vorfeld dachte. “Obwohl es recht unbürokratisch ablief, wurde durch den Videocall und die Dokumentenprüfung auf Sicherheit geachtet”, erzählt sie. “Dass mir ein Übersetzer an die Seite gestellt wurde, hat alles erleichtert - wir hätten Details wie Bescheinigungen und ähnliches sonst sicher nicht so schnell abwickeln können.”
Jenny ist dankbar über den gemeinsamen Einsatz für eine bessere Perspektive, das ist ein gutes Mittel gegen die Ohnmacht. Doch schnell wird auch klar: Normalität kann nicht allein geschaffen werden, in dem Sprachkurse genommen werden oder der Sohn mit Jenny’s Kindern zum Sportverein geht. Es braucht vor Allem Zeit. Gerade ist es viel wichtiger, anzukommen und die Erfahrungen zu bewältigen. Und Sicherheit zu finden. Beim Einzug war die Familie sehr zurückhaltend. Sie stellten nur ihre wichtigste Frage: “Wie lange können wir bleiben?”
Phillip beginnt das Herz zu klopfen, als er den Anruf bekommt. Eine Bekannte aus Usbekistan habe im Zug geflüchtete Menschen kennengelernt. Sie fragt, ob seine Wohnung noch frei sei. In einer halben Stunde wären sie da. “Man hat so ein pro-forma Zögern - aber ich glaube eher, weil man sich fragt: Ist das gut genug, was ich bieten kann?”, erklärt Phillip. Und dann kamen sie: Zwei Familien, neun Menschen. In eine Wohnung, in der sonst Zwei leben. Es lässt Phillip erkennen: Oft unterschätzt man seine Verhältnisse. “Man denkt manchmal, die Wohnung könnte doch größer sein. Und dann merkt man, dass hier auch elf reinpassen”.
Außerdem überschätze man, was Ankommende bräuchten. Erschrocken davon, dass die zwei Familien nur mit einem Koffer anreisten, ging Phillip mehrmals am Tag einkaufen. Er wollte alles Benötigte da haben. “Dabei wollen die Leute nur sicher sein, sie haben gar keine Ansprüche”, stellte er dann fest.
Viel wichtiger wurde es fortan für ihn, schöne Momente zu schaffen. Gemeinsam zu sein, zu essen, zu spazieren. Kinder, die miteinander spielen, Eltern, die für zwei Stunden die Realität vergessen. Sich entspannen können, lachen. Denn mit dem Kopf sind sie die meiste Zeit noch in ihrer Heimat. “Wichtig ist es, dass sie auch hier ein Gefühl von Zuhause haben können, und wenn nur kurz”, sagt Phillip.
Die positiven Erlebnisse mit ihnen waren auch für ihn wichtig. “Einem steigen zehnmal täglich Tränen in die Augen. Die Hälfte davon sind schöne Momente”, sagt er. Das wichtigste dabei sei, dass man nicht in der Furchtbarkeit der Situation verharrt, sondern sich von dem Gefühl der Machtlosigkeit durch Handeln befreit. Dann hat man auch keine Zeit mehr für sechs Stunden Twitter am Tag, die nur Hass schüren würden.
Nachdem die Familien weiter zu Bekannten reisten, will Phillip nun über #Unterkunft Ukraine wieder Geflüchtete aufnehmen. “Ich war richtig traurig, als sie wieder gingen. Diese Menschen aufzunehmen, ist nicht nur wichtig, sondern auch eine echte Bereicherung.”
“Jeder Tag hier ist gut”, Iryna lächelt. Zwei Wochen und ein Tag zählt sie jetzt zu diesen guten, zumindest sicheren, Tagen. Natürlich ist da viel Stress, aber für Iryna ist es entscheidend, die neue Realität seit ihrer Flucht aus der Ukraine anzunehmen. Die eigene Situation abzulehnen, würde nur noch mehr Stress bringen.
Und so beschreibt Iryna ihr Ankommen in Hamburg als Rätselspiel. “Stellt euch vor - wie bei einem Quiz - müsst ihr herausfinden: Wo ist das Geschäft? Wo ist das Amt? Und wie finde ich die Adressen?”
Um dies zu meistern, hat sie alle möglichen Hilfsabgebote genutzt, inbesondere die HVV-App und deepl.com als Übersetzungsseite. Auch gibt es auf Facebook unterstützende Gruppen wie die “Ukrainians in Hamburg”.
“Es ist wichtig keine Angst zu haben, Leute nach Hilfe zu fragen”, berichtet sie. Jedes Mal, wenn sie jemanden nach einer Auskunft fragte, habe sie Unterstützung erfahren. Das macht sie dankbar. “Ihr werdet alle später zu Borscht eingeladen”, sagt sie fröhlich.
Für das Gespräch wird sie von Elana* übersetzt, die sie in ihrer Wohnung aufgenommen hat. Die beiden sehen sich vertraut an, während sie auf Russisch miteinander über die bisherige Zeit sprechen. “Wir kannten uns nicht und es war sehr hilfreich, dass wir uns vorher einmal auf neutralem Boden getroffen haben”, erzählt Elena. Besonders wenn man auf lange Zeit zusammen wohnt, sei es gut vorher zu sehen, ob man überhaupt miteinander klarkommen kann. “Und jetzt?”, die beiden schauen sich an, umarmen sich plötzlich. “Ich habe eine neue Freundin gefunden!”
*sie bat darum, den Namen zu ändern
Die Welle an Hilfsangeboten, die nach Russlands Einmarsch in die Ukraine durch die Städte und Kommunen spülte, umfasste auch das Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen. Zeitgleich zu #Unterkunft Ukraine, die sich als Reaktion auf die Situation gerade zusammengefunden hatten, sendete auch das Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen einen Presseaufruf zur Bereitstellung privaten Wohnraums raus.
Seitdem vermitteln sie parallel zu #Unterkunft Ukraine mit ebenfalls überwältigen Erfolg Wohnraum an geflüchtete Personen in Hamburg.
“Die Solidarität den Ukrainer*innen gegenüber ist toll - doch es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben”, meint der Koordinator des BHFI Manfred Ossenbeck. Damit bezieht er sich sowohl auf Drittstaatler:innen als auch auf bereits Geflüchtete der letzten Jahre. “Als langjähriges Bündnis für Geflüchtetenhilfe ist es uns wichtig, die Entwicklung bezüglich einer gerechten Verteilung der Hilfsangebote zu beobachten. Und die Vermittlung jetzt besser zu gestalten”
Für effektivere Vermittlungsprozesse leitete Manfred eine Partnerschaft zwischen dem BHFI, das seit 2016 lokale Initiativen koordiniert, und #Unterkunft Ukraine an.
Für die Geflüchtetenhilfe ist Kooperation essentiell, als Bündnis agiert die Organisation ausschließlich durch kooperatives Arbeiten. Die Hilfsangebote und Initiativen zusammenzubringen, ist entscheidend. “Im Moment ist es sehr problematisch, dass es viele kleine, private Initiativen gibt, da diese unkoordinierter ablaufen. Mit einem einzigen großen Angebotspool könnten wir eine bessere Vermittlung anbieten”
Deshalb wollen das Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen und #Unterkunft Ukraine ihre Daten zusammentun. “Im Moment suchen wir, wenn wir in unseren Datensammlungen nichts passendes finden, in den Daten-Pools von #Unterkunft Ukraine.”, erläutert Manfred. “Zukünftig können dann beide Organisationen auf alle Daten zugreifen. Damit reagieren wir auf die vielen doppelt Angemeldeten und unterstützen uns gegenseitig. Zusammenarbeit ist das wirksamste Mittel, um zu helfen.”
Für #Unterkunft Ukraine schreibe ich Porträts von Menschen auf der Flucht, die in Deutschland ein Zuhause finden wollen sowie von hier lebenden Menschen, die Raum für People on the move geben. Im Moment hat die Organisation nur die Befugnis, Menschen zu helfen, die aus der Ukraine fliehen. aber wir sind uns alle bewusst, dass sie nicht die einzigen Menschen in Gefahr sind. Das Ziel ist also, die strukturen für alle people on the move zu nutzen.
Es ist Tag 2 des Krieges. Anja Nugmanova ist seit 24 Stunden in Starre. Was geschehen ist, hat sie erfahren als ihr achtjähriger Sohn fragte: “Wird denn jetzt wirklich Krieg in der Ukraine sein?”. Unvermittelt nahm sie Kontakt mit ihrer Familie vor Ort auf. Ihre Tanten sind bis heute eingekesselt. Ob sie zu Anja nach Berlin flüchten werden können, ist nicht klar. “Ein in Frieden lebender Mensch wird Krieg nie verstehen”, sagt sie.
Die Ohnmacht verlässt Anja nach den ersten zwei Tagen. “Ich merkte, dass es auf die Kinder abfärbt”. Und so folgt sie einem Aufruf von #Unterkunft Ukraine und geht abends mit einem Schild los zum Hauptbahnhof. Sie möchte eine geflüchtete Familie in ihre eigene aufnehmen.
Wie viele Berliner*innen steht sie dann da, noch sind die Gleise leer. Als ein Zug einfährt, steigen ein paar Familien aus. Sie, ihnen gegenüber, mit dem Schild und wankenden Beinen. “Sie waren gefasster als ich. Irgendwie gut drauf - froh, angekommen zu sein. Das änderte sich über die Tage schnell. Bald sahen alle sehr müde aus.” An diesem Tag sind es noch zu viele Hilfsbereite auf wenige Ankommende. Anja geht an diesem Abend alleine nach Hause.
24 Stunden später, Anja macht sich wieder auf den Weg. Unsicher, was sie erwarten wird. Unsicher, was sie erwartet. Noch bevor sie sich einer Familie zuwenden kann, steht eine zierliche Frau aufgelöst und zitternd vor ihr. Obwohl Anja russisch spricht, wird ihre Situation zunächst nicht ganz klar. “Ich fühle mich wie ein vertriebener Hund”, kommt schließlich aus ihr heraus. Natalja wurde von ihren Eltern gedrängt, dass Land zum eigenen Schutz zu verlassen. Doch sie will nicht hier sein, weiß nicht, wohin. Anja zieht ihre Warnweste aus und bringt sie zu sich nach Hause.
Nach fünf Tagen geht Natalja zu einer Freundin und Anja bietet wieder Platz für eine Familie an. Gleichzeitig versucht sie das Leben für die Kinder möglichst zu normalisieren. Chris, der achtjährige Sohn, bekommt jetzt sein eigenes Taschengeld und läuft alleine von der Schule nach Hause. Letztens kam er nach Hause und das Geld war weg. Er hatte auf dem Weg Zimtschnecken gekauft. Doch seine Familie darf sie nicht anrühren. Sie sind für geflüchtete Menschen.
Christian steht mit Oksana beim Einwohnermeldeamt. Sie muss die Adressen ihrer Angehörigen angeben. Eine Träne rollte über ihre Wange, als sie bei ihrem 21-jährigen Sohn “Kaserne” einträgt. Das ist eines der wenigen Male, dass Oksana eine Träne verlieren wird, nachdem sie, ohne ihren Sohn und nur mit ihrer 10-jährigen Tochter, die Ukraine verlassen musste. “Ansonsten sind ihre Schilderungen sehr neutral, ihre Anliegen pragmatisch. Wir haben immer den Kloß im Hals, wenn sie was von ihrem Leben erzählt”, sagt Christian dazu.
Er und seine Familie hat die Mutter und ihre Tochter über #Unterkunft Ukraine aufgenommen. Vom Pragmatismus, den Oksana mitbrachte, war Christian besonders beeindruckt. “Wir saßen fünf Minuten im Auto da fragte sie schon: Ich bin gelernte Krankenschwester - könnt ihr mir helfen, einen Job zu finden?”, und zu seiner Überraschung war dies keine große Herausforderung. “Ich bin begeistert, wie schnell man viel bewirken kann”.
In kürzester Zeit waren alle Formalitäten erledigt, die Tochter an der Schule angemeldet und nun hat Oksana ein erstes Jobinterview. Der Zugang zu dieser Hilfestellung ist niederschwellig und Christian kennt viele Menschen, die diese jetzt leisten könnten. Doch viele ließen sich von Ängsten und Bequemlichkeit hindern. “Dabei haben sich all die Sorgen, die wir vorher hatten, in der Sekunde aufgelöst, in der die beiden da waren. Da war sofort die Zufriedenheit darüber, das Richtige zu tun”, sagt Christian.
Und auch jetzt, nach eineinhalb Wochen ist das Gefühl noch da. “Wichtig im Vermittlungsprozess ist wirklich einfach das Machen”, erläutert Christian und fügt hinzu: “Aber eben auch, Grenzen zu formulieren”. Denn Christian musste seine erste Vermittlung ablehnen. “Ich hab mich richtig mies gefühlt, aber zwei Erwachsene passen einfach nicht in die Wohnung. Der Vermittelnde hat mir klar gemacht, dass es okay und wichtig ist, ehrlich zu sein mit dem, was man geben kann.” Sobald man seine Möglichkeiten geklärt hat, sei es jedoch wichtig, hilfsbereit zu sein. “Wir leben 2000 km entfernt und haben alles. Da kommen Menschen, denen nur noch zwei Plastiktüten geblieben sind. Da leitet sich schon eine Verantwortung ab.”
Am liebsten hätte Jenny sofort für die Familie Normalität wiederhergestellt. Als die Hamburgerin die Geflüchteten Kseniya, Nikos, ihren Sohn Eldar und die Großmutter Larissa aufnimmt, streckt ihr Umfeld die Hände aus. Innerhalb von 48 Stunden kamen viele Angebote für die Aufgenommenen, auch von bisher unbekannten Personen. Das war für die Familie, aber auch für Jenny selber wichtig: “Die Solidaritätswelle überspült all die deprimierenden Nachrichten, die man täglich in den Medien liest.”
Es wäre deutlich schwieriger gewesen, all diese Angebote an die Familie zu bringen, hätten sie nicht von Beginn an einen Vermittler zum Übersetzen gehabt. Denn Jenny und die aufgenommene Familie sprechen kein Wort gleicher Sprache.
Und die Vermittlung an sich verlief viel schneller und unkomplizierter, als Jenny im Vorfeld dachte. “Obwohl es recht unbürokratisch ablief, wurde durch den Videocall und die Dokumentenprüfung auf Sicherheit geachtet”, erzählt sie. “Dass mir ein Übersetzer an die Seite gestellt wurde, hat alles erleichtert - wir hätten Details wie Bescheinigungen und ähnliches sonst sicher nicht so schnell abwickeln können.”
Jenny ist dankbar über den gemeinsamen Einsatz für eine bessere Perspektive, das ist ein gutes Mittel gegen die Ohnmacht. Doch schnell wird auch klar: Normalität kann nicht allein geschaffen werden, in dem Sprachkurse genommen werden oder der Sohn mit Jenny’s Kindern zum Sportverein geht. Es braucht vor Allem Zeit. Gerade ist es viel wichtiger, anzukommen und die Erfahrungen zu bewältigen. Und Sicherheit zu finden. Beim Einzug war die Familie sehr zurückhaltend. Sie stellten nur ihre wichtigste Frage: “Wie lange können wir bleiben?”
Phillip beginnt das Herz zu klopfen, als er den Anruf bekommt. Eine Bekannte aus Usbekistan habe im Zug geflüchtete Menschen kennengelernt. Sie fragt, ob seine Wohnung noch frei sei. In einer halben Stunde wären sie da. “Man hat so ein pro-forma Zögern - aber ich glaube eher, weil man sich fragt: Ist das gut genug, was ich bieten kann?”, erklärt Phillip. Und dann kamen sie: Zwei Familien, neun Menschen. In eine Wohnung, in der sonst Zwei leben. Es lässt Phillip erkennen: Oft unterschätzt man seine Verhältnisse. “Man denkt manchmal, die Wohnung könnte doch größer sein. Und dann merkt man, dass hier auch elf reinpassen”.
Außerdem überschätze man, was Ankommende bräuchten. Erschrocken davon, dass die zwei Familien nur mit einem Koffer anreisten, ging Phillip mehrmals am Tag einkaufen. Er wollte alles Benötigte da haben. “Dabei wollen die Leute nur sicher sein, sie haben gar keine Ansprüche”, stellte er dann fest.
Viel wichtiger wurde es fortan für ihn, schöne Momente zu schaffen. Gemeinsam zu sein, zu essen, zu spazieren. Kinder, die miteinander spielen, Eltern, die für zwei Stunden die Realität vergessen. Sich entspannen können, lachen. Denn mit dem Kopf sind sie die meiste Zeit noch in ihrer Heimat. “Wichtig ist es, dass sie auch hier ein Gefühl von Zuhause haben können, und wenn nur kurz”, sagt Phillip.
Die positiven Erlebnisse mit ihnen waren auch für ihn wichtig. “Einem steigen zehnmal täglich Tränen in die Augen. Die Hälfte davon sind schöne Momente”, sagt er. Das wichtigste dabei sei, dass man nicht in der Furchtbarkeit der Situation verharrt, sondern sich von dem Gefühl der Machtlosigkeit durch Handeln befreit. Dann hat man auch keine Zeit mehr für sechs Stunden Twitter am Tag, die nur Hass schüren würden.
Nachdem die Familien weiter zu Bekannten reisten, will Phillip nun über #Unterkunft Ukraine wieder Geflüchtete aufnehmen. “Ich war richtig traurig, als sie wieder gingen. Diese Menschen aufzunehmen, ist nicht nur wichtig, sondern auch eine echte Bereicherung.”
“Jeder Tag hier ist gut”, Iryna lächelt. Zwei Wochen und ein Tag zählt sie jetzt zu diesen guten, zumindest sicheren, Tagen. Natürlich ist da viel Stress, aber für Iryna ist es entscheidend, die neue Realität seit ihrer Flucht aus der Ukraine anzunehmen. Die eigene Situation abzulehnen, würde nur noch mehr Stress bringen.
Und so beschreibt Iryna ihr Ankommen in Hamburg als Rätselspiel. “Stellt euch vor - wie bei einem Quiz - müsst ihr herausfinden: Wo ist das Geschäft? Wo ist das Amt? Und wie finde ich die Adressen?”
Um dies zu meistern, hat sie alle möglichen Hilfsabgebote genutzt, inbesondere die HVV-App und deepl.com als Übersetzungsseite. Auch gibt es auf Facebook unterstützende Gruppen wie die “Ukrainians in Hamburg”.
“Es ist wichtig keine Angst zu haben, Leute nach Hilfe zu fragen”, berichtet sie. Jedes Mal, wenn sie jemanden nach einer Auskunft fragte, habe sie Unterstützung erfahren. Das macht sie dankbar. “Ihr werdet alle später zu Borscht eingeladen”, sagt sie fröhlich.
Für das Gespräch wird sie von Elana* übersetzt, die sie in ihrer Wohnung aufgenommen hat. Die beiden sehen sich vertraut an, während sie auf Russisch miteinander über die bisherige Zeit sprechen. “Wir kannten uns nicht und es war sehr hilfreich, dass wir uns vorher einmal auf neutralem Boden getroffen haben”, erzählt Elena. Besonders wenn man auf lange Zeit zusammen wohnt, sei es gut vorher zu sehen, ob man überhaupt miteinander klarkommen kann. “Und jetzt?”, die beiden schauen sich an, umarmen sich plötzlich. “Ich habe eine neue Freundin gefunden!”
*sie bat darum, den Namen zu ändern
Die Welle an Hilfsangeboten, die nach Russlands Einmarsch in die Ukraine durch die Städte und Kommunen spülte, umfasste auch das Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen. Zeitgleich zu #Unterkunft Ukraine, die sich als Reaktion auf die Situation gerade zusammengefunden hatten, sendete auch das Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen einen Presseaufruf zur Bereitstellung privaten Wohnraums raus.
Seitdem vermitteln sie parallel zu #Unterkunft Ukraine mit ebenfalls überwältigen Erfolg Wohnraum an geflüchtete Personen in Hamburg.
“Die Solidarität den Ukrainer*innen gegenüber ist toll - doch es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben”, meint der Koordinator des BHFI Manfred Ossenbeck. Damit bezieht er sich sowohl auf Drittstaatler:innen als auch auf bereits Geflüchtete der letzten Jahre. “Als langjähriges Bündnis für Geflüchtetenhilfe ist es uns wichtig, die Entwicklung bezüglich einer gerechten Verteilung der Hilfsangebote zu beobachten. Und die Vermittlung jetzt besser zu gestalten”
Für effektivere Vermittlungsprozesse leitete Manfred eine Partnerschaft zwischen dem BHFI, das seit 2016 lokale Initiativen koordiniert, und #Unterkunft Ukraine an.
Für die Geflüchtetenhilfe ist Kooperation essentiell, als Bündnis agiert die Organisation ausschließlich durch kooperatives Arbeiten. Die Hilfsangebote und Initiativen zusammenzubringen, ist entscheidend. “Im Moment ist es sehr problematisch, dass es viele kleine, private Initiativen gibt, da diese unkoordinierter ablaufen. Mit einem einzigen großen Angebotspool könnten wir eine bessere Vermittlung anbieten”
Deshalb wollen das Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen und #Unterkunft Ukraine ihre Daten zusammentun. “Im Moment suchen wir, wenn wir in unseren Datensammlungen nichts passendes finden, in den Daten-Pools von #Unterkunft Ukraine.”, erläutert Manfred. “Zukünftig können dann beide Organisationen auf alle Daten zugreifen. Damit reagieren wir auf die vielen doppelt Angemeldeten und unterstützen uns gegenseitig. Zusammenarbeit ist das wirksamste Mittel, um zu helfen.”